stimme

WEnn Geld zur Religion wird

Ein Kommentar aus christlich-sozialethischer Sicht.

Von Thomas Wallimann-Sasaki.

Erschienen in "horizonte" - Pfarrblatt im Kanton Aargau - Im Januar 2012.

Link

Nüchtern betrachtet verdeutlicht der Fall Hildebrand: Wer Privilegien hat, ist moralisch weit über das Gesetz hinaus gefordert.

So jedenfalls meint Thomas Wallimann-Saski, der Leiter des Sozialinstituts der katholischen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbewegung (KAB). Der promovierte Sozialethiker aus Zürich vertritt die Ansicht, dass die Affäre nur deshalb so emotional diskutiert wurde, weil sie die Rolle überstrapazierte, die das Geld in unserer Gesellschaft spielt. Was meinen Sie? Schreiben Sie uns Ihre Meinung über die neu zur Verfügung stehende Kommentarfunktion im Anschluss an den Text.

 

Wieso glauben wir ans Geld?

Innert kurzer Zeit «verdienen» Herr und Frau Hildebrand zwischen 50 000 und 75 000 Franken dank Transaktionen zwischen US-Dollars und Schweizerfranken. Was für die einen eine Kleinigkeit im alltäglichen Geschäft mit Devisen ist, stellt für andere ein Jahresgehalt dar, von dem sie nur träumen können. Während die einen solche Unterschiede mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen und zum Ausdruck bringen – «Tja, da kann man eben nichts machen» – ärgern sich andere in Grund und Boden, dritte sind überzeugt, dass es nur etwas mehr Anstrengung braucht, um eben dahin zu kommen, und wieder andere stimmen in jenen Chor ein, der gerade am lautesten singt, um von andern Geschäften abzulenken, die kaum «besser» sind.

 

Werthaltungen werden herausgefordert

Der öffentliche Aufschrei und die vielen Diskussionen rund um die Finanzgeschäfte der Familie Hildebrand in Verbindung mit ihren beruflichen Verpflichtungen und Selbstverständnis öffnen einen ganzen Ordner voller Fragen, ökonomischer, politischer, rechtlicher, ethischer und religiöser Art. Betrachte ich die Geschichten, ausgelöst durch die Veröffentlichung einer Devisentransaktion auf dem Konto von Herrn Hildebrand, aus einer ethischen Perspektive, dann fallen mir die vielen – ganz unterschiedlichen – Emotionen auf, Ärger, Empörung bis Genugtuung. Solche Reaktionen weisen in der Regel darauf hin, dass es sich tatsächlich auch um ein ethisches Problem handelt, denn hinter Empörung, Ärger und Gefühlsäusserungen stecken in der Regel Werthaltungen und Wertordnungen, die in irgendeiner Weise angesprochen, verletzt oder herausgefordert werden. Ethik hat die Aufgabe solches zu analysieren, zu vergleichen und wenn nötig auch zu bewerten. Damit sie dies tun kann, muss zuerst die Fragestellung geklärt werden. Hier stellt sich rund um die «Affaire Hildebrand» bereits ein erste Schwierigkeit: Geht es um die individualethische Fragestellung, ob Herr oder Frau Hildebrand richtig gehandelt haben? Geht es um die sozialethische Fragestellung, ob die Nationalbank ein ausreichend gutes und angemessenes Reglement hat? Geht es um die Grundsatzfrage – auch ethischer Natur –, ob sich hier exemplarisch das Problem zeigt, welche Rolle Geld in unserer Gesellschaft spielt?

 

Tausch- und Zahlungsmittel

Jede Fragestellung verlangt, wenn wir ethisch seriös arbeiten wollen, eine entsprechend fundierte Analyse, ein Klären der Fragen der Interessen, der Machtverhältnisse, der Rechtslage und der involvierten Personen und Institutionen. Dies ist gar nicht so einfach – gerade auch nicht, wenn man aussenstehend ist. Gleichwohl lasse ich mich auf die letzte Frage ein, welche Rolle denn nun das Geld heute spielt und inwiefern dies auch in diesem Fall mit zu bedenken ist. Geld ist – wirtschaftlich gesehen – ein Tausch- und Zahlungsmittel. Älteste Formen dieser Form gehen in die Zeit um 9000 v. Chr. zurück. Denn ein anerkanntes Tauschmittel hat den Vorteil, dass es gut transportierbar und teilbar ist, und zudem gut aufbewahrt werden kann. Schliesslich lassen sich damit auch Vergleiche anstellen. Diese Grundfunktionen des Geldes sind bis heute die gleichen geblieben: Man kann dank Geld tauschen und bezahlen; in Geldeinheiten lässt sich rechnen und «Werte» bemessen und schliesslich ermöglicht Geld in die Zukunft hinein zu planen, indem man Geld lagert oder eben spart. So ist Geld heute auch ein gesetzliches Zahlungsmittel (etwa für Bussen und Gebühren) und doch so neutral, dass es das reibungslose Wirtschaften ermöglicht. Kurz und gut: Geld ist die Sprache der «Wirtschaft».

 

Mit Geld lässt sich alles bewerten

Doch mit dem Geld sind auch andere Dinge verbunden. Schon in vorchristlicher Zeit erkannten die Menschen, dass sich über den Zins mit Geld Geld verdienen lässt. Im Judentum wie im Christentum und Islam gab es daher Zinsverbote. Geld mit Geld zu verdienen widersprach der allgemeinen Auffassung, dass Geld mit Arbeit verdient werden sollte. Doch es ist zu kurz gegriffen, wenn für die heutige (Finanz-)Wirtschaft einfach auf biblische Geschichten des Verbots (Erstes Testament Ex 22,24) oder der Nicht-Erwähnung (Neues Testament) zurückgegriffen wird. Entscheidend ist es, die Grundausrichtung der (biblischen und christlichen) Gebote in die heutige Zeit zu übertragen: Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt! Hier nun lauert beim Geld eben auch eine nicht kleine Gefahr, denn Geld hat Eigenschaften, die wir in den Religionen in der Regel Gott zuschreiben: Geld ist unendlich. Mit Geld lässt sich ALLES bewerten. Geld kann man nicht entrinnen. Geld kann erlösend wirken und schliesslich gibt Geld das Gefühl von Freiheit und Macht – und auch Machbarkeit (vgl. Schöpfung). Vielleicht ähneln sich darum auch die religiöse und die «geldliche» Sprache: Kredit und Credo; Gläubiger und Glaube; Erlös und Erlösung; Schulden und Schuld.

 

Soziale Hypothek

Die Gefahr besteht also, dass tatsächlich um des Geldes willen Dinge getan werden und die Menschen aus dem Blickfeld verschwinden. Dieser Gefahr sind alle ausgeliefert, die mit Geld umgehen, doch wer mehr hat, kennt häufig auch die grössere Versuchung! Die Katholische Soziallehre wie die christliche Sozialethik haben darum immer auch wieder darauf hingewiesen, dass Besitz und Eigentum – ob nun Geld oder Land – zum Teilen verpflichtet, eine «soziale Hypothek» trägt. Denn alles, was uns Menschen gehört, gehört letztlich Gott, und alles, was wir haben, hängt irgendwie mit andern Menschen zusammen. Dies führt dazu, dass wir aufpassen müssen, dass die Unterschiede zwischen Reich und Arm nicht zu gross werden und niemand auf Kosten anderer übermässig Vorteile hat bzw. Lasten tragen muss.

 

Woran wir glauben

In diesem Sinne lässt sich nicht abschliessend urteilen, ob es erlaubt ist, aus Devisentransaktionen Geld zu machen. Denn es wäre zu klären, wem daraus ein Nutzen entsteht, wer Lasten trägt und wo Handlungsbedarf ansteht. Damit ist aber auch nicht einfach ethische Unbedenklichkeit signalisiert. Der Fall Hildebrand zeigt auch, dass, wer Privilegien hat, gerade auch moralisch weit über das Gesetz hinaus gefordert ist. So erinnert uns dies auch daran, ob wir unsere eigenen Privilegien als Einzelpersonen oder auch als Kirche, Unternehmen oder Staat in den Dienst aller (!) Menschen stellen! Dann zeigt sich, woran wir wirklich glauben und darauf kommt es an.