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Abstimmungen vom 5. Juni 2016

Ethische Gedanken zu den Vorlagen von Thomas Wallimann-Sasaki.

Vorabdruck aus dem treffpunkt Nr. 6/2016.

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Volksinitiative

«Grundeinkommen»

Abstimmung vom 5. Juni 2016 über die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“. Von Thomas Wallimann-Sasaki

 

Sehen

Ohne an Arbeit oder sonstige Leistung geknüpft sollen alle Menschen der Schweiz ein „Bürgergeld“ erhalten. Dies will die 2013 eingereichte Initiative. Mit dem Grundeinkommen soll jede Person in der Schweiz ein menschenwürdiges Dasein führen und am öffentlichen Leben teilnehmen können. Bundesrat wie Parlament und viele andere lehnen das Anliegen ab. Die Idee sei zu visionär, nicht ausgereift, ohne Umsetzungsvorstellungen und schlicht nicht finanzierbar führen sie als Gründe an. Die Befürwortenden sehen im Grundeinkommen die Basis, dass jeder Mensch selber entscheiden kann, wie er seine Fähigkeiten einsetzen will. Zudem sei das Grundeinkommen eine menschenfreundliche Antwort auf die zunehmende Zahl von Erwerbslosen angesichts der kommenden digitalen und technischen Entwicklungen.

 

Urteilen

Auf der Sachebene stellen sich viele offene Fragen, die von der Initiative nicht geklärt werden. Dies betrifft die Höhe wie auch die Finanzierung des Grundeinkommens. In vielen Fällen würde das Grundeinkommen die Leistungen der Sozialversicherungen ersetzen, ebenfalls einen Teil des traditionellen Einkommens.

Auf der Wertebene trennt das Grundeinkommen die traditionelle Verbindung zwischen Arbeit und Einkommen. Damit verbunden ist die Frage, ob Menschen arbeiten, wenn sie keinen Sinn darin sehen, zum andern ob der Mensch von Natur aus eher zur Faulheit oder doch zur kreativen Neugier und Tätigkeit neige. Doch auch was volkswirtschaftlich „wert“-voll ist, bekommt eine neue Dimension, da nun auch Arbeiten zu Hause, für sich oder für andere mit Geld anerkannt werden, die bisher als „freiwillig“, „ehrenamtlich“ oder nicht zählbar für das BIP galten.

Aus christlicher Sicht erinnert die Bedingungslosigkeit an die Kernaussage des Glaubens, dass Gottes Liebe und Gnade ohne Gegenleistung geschenkt sind und darin die Würde des Menschen zum Ausdruck kommt. So macht das Grundeinkommen sichtbar, dass zuerst der Mensch und erst dann die Arbeit und die Wirtschaft kommen.

 

Handeln 

Die Initiative ist visionär und zeigt, dass „ganz anders“ über Arbeit und Leben gedacht werden kann. Sie erinnert daran, dass Arbeit, Leben und Sinn zusammengehören und viele Entwicklungen unserer Arbeits- und Wirtschaftswelt an den Menschen vorbei zielen. Doch die Initiative lässt viele Fragen der Umsetzung offen, ebenso bezüglich der Wirkung auf das Umfeld der Schweiz. Wer diese Risiken der Umsetzung als zu gross betrachtet, wird ablehnen. Wer in der Initiative einen Weg zu einer neuen Arbeitsgesellschaft angesichts der grossen Veränderungen in der Arbeitswelt sieht, wird eher ja stimmen.

Fortpflanzungsmedizin-Gesetz - PID (Referendum)

Mit der Annahme des Verfassungsartikels zur Fortpflanzungsmedizin im Juni 2015 dürfen neu so viele Embryonen entwickelt werden, wie für die Fortpflanzungsmedizin notwendig sind. Damit wird das bisherige Verbot der PID (Präimplantationsdiagnostik), die Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf Schäden untersucht und aussondert, stark gelockert. So erlaubt das revidierte Fortpflanzungsmedizin-Gesetz (FMedG) Paaren mit schweren Erbkrankheiten und solchen, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen, die Embryonen vor der Einpflanzung untersuchen und bei entsprechend belastenden Ergebnissen vernichten zu lassen. Maximal zwölf Embryonen dürfen erzeugt und für spätere Einpflanzungen bis fünf Jahre aufbewahrt werden. Gegen diese Regelungen wurde das Referendum ergriffen.

Das Parlament geht mit diesen Bestimmungen weiter als der Bundesrat. Auch wird nicht geklärt, was „schwere“ Erbkrankheiten sind, oder ob das neue Gesetz nicht doch Samenspenden von Verstorbenen zulässt.

Ethisch fällt auf, dass die Befürwortenden von Einzelfällen ausgehen. In der Tat gibt es für Einzelsituationen immer gute Gründe. Auch tendieren die Befürwortenden dazu, die positiven Seiten der Technik hervorzuheben, die Risiken, vor allem die gesellschaftlichen neuen Zwänge, auszublenden. Sozialethisch geht es um die Frage, ob wir eine Gesellschaft (!) wollen, in der Eltern (oder vielleicht noch mehr „Medizinaltechniker“) Details der kommenden Generation bestimmen. Es geht um den Umgang mit behinderten Menschen. Wollen wir, dass Menschen, die „anders“ sind, noch stärker unter Druck kommen? Aus christlicher Sicht ist das Leben ein Geschenk Gottes und jeder Mensch ein Ebenbild Gottes und als solches zu respektieren. Wer trotz der neuen technischen Möglichkeiten glaubt, dass die Würde gerade auch schwacher und behinderter Menschen respektiert wird, wird eher ja stimmen. Wer im Gesetz einen weiteren Schritt zu „Menschen nach Mass“ und dies im Gegensatz zum Willen Gottes sieht, wird ablehnen.

 

 

 

Asyl-Gesetz (Referendum)

 

Das Hauptziel der Gesetzesrevision ist die Beschleunigung der Verfahren. In den geplanten Bundeszentren sollen alle, die für ein Verfahren wichtig sind, nahe zusammenarbeiten. Dazu gehört auch die kostenlose Rechtsberatung für Asylsuchende. Dies soll Rechtssicherheit bieten und die Akzeptanz der Entscheide verbessern. Auch soll ein Grossteil aller Verfahren innerhalb von 140 Tagen erledigt werden können. Im Grundsatz stimmte das Volk diesen Massnahmen bereits im Juni 2013 zu, ebenso der Führung eines Testbetriebs. Dies ist geschehen und ausgewertet. Die Erwartungen wurden dabei weitgehend erfüllt. Gegen diese Reform wurde das Referendum ergriffen. Die Gegnerinnen sind vor allem gegen die kostenlosen Anwälte für Asylsuchende und die im neuen Bewilligungsverfahren für den Bau von Bundeszentren, von denen sie Eingriffe gegen das Eigentumsrecht fürchten.

Die Entwicklungen in der Asyl- und Flüchtlingsfrage sind offen. Es ist unbestritten, dass lange Fristen und Wartezeiten für alle Betroffenen und vor allem für Asylsuchende sehr belastend sind.

Eine christliche Sicht darf sich daran erinnern, dass am eigenen Beginn ein Volk auf der Flucht steht und christliches Leben immer eines auf dem Weg ist. Daraus leitet sich eine grundsätzliche Sensibilität für Menschen ab, die ihre Heimat verlassen haben. Bei allen Massnahmen müssen darum die Menschen und vor allem jene in Not im Zentrum stehen. Sie müssen ihr Anliegen rechtlich verlässlich einbringen und auch gegen Entscheide rekurrieren können. Nur so erfahren sie unsere Welt und unseren Staat als gerechter als ihr Herkunftsland. So können sie auch verstehen, wie Entscheide zustande kommen und selbst bei Negativ-Entscheiden unser Land als Rechtsstaat in Erinnerung behalten. Gleichwohl darf nicht vergessen werden, dass die Verkürzung der Beschwerdefristen gerade auch für Menschen, die unser System nicht verstehen, schnell ein Nachteil werden kann. Aus christlicher Sicht bleibt, wie auch immer man sich entscheidet, ein „aber“.  Ja stimmt, wer trotz Schwächen im Asylwesen eine Verbesserung sieht. Wer Nein stimmt, riskiert, dass auch gute Entwicklungen rückgängig gemacht werden.

 

 

 

Pro Service public und Für eine faire Verkehrsfinanzierung (Volksinitiativen)

Mit dem Motto „Service statt Profit“ will die Volksinitiative „Pro Service public“ die gute Grundversorgen in den Bereichen Kommunikation (Swisscom), Post und öffentlichen Verkehr sichern. Dazu verbietet sie Gewinnorientierung wie Quersubventionierung bei bundeseigenen Betrieben der Grundversorgung und legt eine Lohnobergrenze für die Manager dieser Betriebe fest (Bundesratslohn). Bundesrat, Parlament wie auch Parteien und Gewerkschaften sind gegen diese Initiative. Gut gemeint, doch letztlich riskieren sie die Errungenschaften etwa der Sozialpartnerschaft sagen sie.

Auch die sog. „Milchkuh-Initiative“ zielt auf den Umgang mit Geld. Sie will die Gelder aus der Mineralölsteuer vollumfänglich dem Strassenverkehr zufliessen lassen (heute 50% - 50% für Bundesaufgaben). Mit diesen jährlich 1.5 Mia. Franken liessen sich die grössten Probleme auf den Schweizer Nationalstrassen lösen. Bundesrat, Parlament und zahlreiche Verbände sind gegen diese von Automobilkreisen lancierte Initiative. Denn die fehlenden Gelder führten direkt zu Kürzungen in Bildung, Landwirtschaft oder Armee, oder die Steuern müssten erhöht werden.

Beide Initiativen fragen, wie wir unser Gemeinwohl verstehen. Während die Service Public Initiative die Frage nach den Grenzen des Wettbewerb- und reinen Gewinn-Denkens für das Allgemeinwohl durch staatliche Begrenzungen zu klären versucht, geht es der sog. Milchkuh-Initiative darum, ob Steuern primär für eigene Interessen zu verwenden sind. Damit geht es um die Balance, wie viel Beitrag jene zum guten Funktionieren des Gemeinwesens beitragen, denen es gut geht bzw. wie Solidarität konkret verstanden wird. Wir können – so die christliche Gemeinwohl- und Solidaritätsvorstellung – nur gemeinsam gut leben, wenn wir teilen, wenn wir jenen geben, die wenig oder nichts haben, ohne dass jedes Mal direkt etwas an uns zurückfliesst. Damit verbunden ist sowohl die Absage an reines ökonomisches Eigennutzendenken wie auch volle staatliche Regulierung. Dass Leistungen für die Allgemeinheit vielleicht mehr als einfach „Dienstleistungsprodukte“ sind und Steuern mehr als „Zwangsabgaben“ und damit reinem Wettbwerbs- und Marktdenken Grenzen gesetzt sind, lässt sich wohl nicht per Gesetz festschreiben, sondern muss im gesellschaftlichen Diskurs erörtert und auch gefordert werden. Je mehr man diesem Dialog über Service public und Steuern zutraut und sich und andere gesellschaftliche Akteure einbringen will, desto eher wird man beide Initiativen ablehnen.